Es beginnt (wie zu viele Beziehungen) mit einem unscheinbaren Irrtum: Emma Rothner schickt eine Mail aus Versehen an einen gänzlich Fremden. Daraus entwickelt sich einer der „zauberhaftesten und klügsten Liebesdialoge der Gegenwartsliteratur” (so schwärmte Der Spiegel). Daniel Glattauer lässt seine beiden Figuren in einem stetigen Wechsel von E-Mails einander immer näher und näher kommen, bis ...
Glattauers Roman „Gut gegen Nordwind” ist ein Fundstück aus der dann doch recht kurzen Zeitspanne, in der man sich schon keine Briefe mehr schrieb, aber auch noch nicht über Chats kommunizierte (und glücklicherweise auch noch auf Sprachnachrichten verzichten musste). In ihrer kurzen Blütezeit setzt Glattauer der E-Mail ein Denkmal, indem er mit ihr etwas zaubert, was früher als Briefroman eine ganze Literaturgattung ausmachte. Wie Choderlos de Laclos „Gefährliche Liebschaften” 230 Jahre zuvor gibt „Nordwind” einen unterhaltsamen, aufmüpfigen Einblick in das Verhältnis der Geschlechter der jeweiligen Zeit. Wenn zukünftige Soziologen einmal die Geschlechterrollen im beginnenden 21. Jahrhundert untersuchen, stoßen sie hoffentlich nicht nur auf unsere Debatten um Gendersternchen, sondern auch auf Bücher wie dieses.
Wenn man - wir kennen das längst zur Genüge aus „sozialen” Medien - schreibt, ohne seinem Gegenüber in die Augen sehen zu können, verändern sich sofort die Art und Weise, wie wir uns ausdrücken: Die Distanz macht Hass und Hetze unfassbar leicht, aber sie ermöglicht (das ist die geheimnisvolle Macht des geschriebenen Worts) auch eine besondere Nähe. So geschieht in „Nordwind” zwischen zwei Menschen das, was ein biblischer (allenfalls auf den ersten flüchtigen Blick verschämter) Ausdruck wunderbar trifft: Zwei Menschen „erkennen sich”. Und alle Möglichkeiten sind nicht mehr nur denkbar, sondern eben auch möglich. Viele „Wenn” und „Wäre” beginnen plötzlich, sich zu etwas Greifbarem zu formen. Nichts ist gefährlicher für einen routinierten Alltag. Nichts ist spannender für einen Roman.
Eine wirklich gute Liebesgeschichte (sorry, Frau Pilcher) endet nie mit einem Happy End, sondern mit einem Cliffhanger: Emma wird grundlegende Fragen (Wie viel Risiko lassen wir zu? Schützen wir uns vor den falschen Dingen? Welchen Preis sind uns Gefühle wert? Wie bleibt man bei sich selbst?) nicht abschließend beantworten. Manchmal genügt die befreiende Erfahrung, die Glattauer seine Emma machen lässt: dass nicht nur Unglück und Leid jederzeit von einem Moment auf den anderen unerwartet ins eigene Leben treten können - sondern auch ziemlich gute Dinge.
Bücher lassen uns glauben, dass „es” noch nicht alles gewesen sein muss.
Wir stellen vier Bücher vor, die wir im Bücherschrank Solln gefunden haben. Das sind die anderen drei aus unserem Quartett:
Der Bücherschrank Solln steht in der Herterichstraße Straße 101 direkt vor den Geschäften. Ein paar Schritte weiter ist die Post.