Die Stadt Erding wurde um 1228 gegründet. Der Stadtturm entstand kurz danach, vermutlich spätestens um 1300, und zählt damit zu den ältesten noch erhaltenen Bauwerken der Stadt. Die unteren sieben Stockwerke stammen aus dieser Zeit. In der Spätgotik wurden zwei weitere Geschosse aufgesetzt, die heute die Glockenstube und die ehemalige Wohnung des Türmers enthalten. Der vollständig freistehende Turm erreicht mit seiner barocken Turmhaube und dem vergoldeten Kreuz eine Höhe von rund 51,8 Metern. Er hat 163 Stufen, die Besucher zur ehemaligen Türmerwohnung führen, immerhin bestand diese Nutzung bis ins Jahr 1945. Ein besonderes Detail: Der Turm ist getrennt von der Stadtpfarrkirche St. Johannes errichtet – mit einer fünf Meter breiten Passage dazwischen. Trotzdem dient er seit jeher als Glockenturm der Kirche, denn beim Bau der Kirche verzichtete man offenbar bewusst auf einen eigenen Turm und nutzte den vorhandenen – eine platzsparende wie clevere Lösung.
Im Dreißigjährigen Krieg (1632 bis 1648) wurde Erding besetzt und der Stadtturm von schwedischen Truppen in Brand gesetzt. Der Wiederaufbau wurde teilweise durch eine eigens eingeführte Biersteuer finanziert – passenderweise, denn Erding ist seit Langem eng mit der Braukultur verbunden. 1562 wurde der Turm in die Neubebauung des Rathauses integriert; später, 1866, verschwand das alte Rathaus und machte Platz für die Schrannenhalle. Der Stadtturm blieb, unverändert am selben Ort, nur wenige Meter von der Kirche entfernt. In der Kugel an der Turmspitze wurden über die Jahre Zeitzeugen deponiert: etwa Münzen, Festschriften, Fotos und Renovierungsnachweise. Heute ist der Stadtturm fester Bestandteil des touristischen Angebots in Erding. Öffentliche Führungen finden regelmäßig am dritten Sonntag im Monat statt. Teilnehmer starten am Schrannenplatz, steigen die engen Stufen hinauf und genießen auf etwa 35 bis 40 Metern Höhe eine beeindruckende Aussicht über die Altstadt bis zum Alpenpanorama bei klarem Wetter. Die Führungen dauern rund eine Stunde, haben eine Teilnehmerbegrenzung und sind meist kostenfrei.
Eine bekannte Erzählung rankt sich um den sogenannten „Turmschieberspruch” – die Idee, Erdinger Bürger hätten ihren Turm einfach zur Kirche geschoben, um dort einen Glockenturm zu schaffen. Ob’s wirklich so war oder eher humorvoll gemeint ist, lässt sich nicht mehr eindeutig klären. Überlieferungen deuten darauf hin, dass man offenbar lieber die vorhandene Struktur nutzte, als aufwendig neu zu bauen. Der Stadtturm von Erding stellt somit nicht nur ein markantes Wahrzeichen dar, sondern auch ein lebendiges Stück Stadtgeschichte: mittelalterlich gewachsene Architektur, vielschichtige Nutzung, allmähliche Anpassung über Jahrhunderte. Aktuell hüllt sich der Stadtturm wieder unter weißen Tüchern und wird renoviert. Man darf gespannt sein, in welchem Glanze er nach der Fertigstellung erstrahlt.