Erklärung der beiden geschäftsführenden IMMA-Vorständinnen Gundula Brunner und Sabine Wieninger zu 40 Jahren IMMA-Arbeit:
Vor vierzig Jahren haben engagierte Frauen* in München angefangen, für Mädchen* und junge Frauen* Räume zu schaffen, in denen sie sicher sind, sich ausdrücken können und Unterstützung finden. Seitdem hat sich vieles verändert – in der Gesellschaft, in der Politik und in der Wahrnehmung von Gewalt gegen Frauen*. Aber auch heute bleibt noch viel zu tun.
Durch die Frauen*- und Mädchen*politische Arbeit in der Stadt, gemeinsam mit Politik, der Gleichstellungsstelle und vielen Mitstreiterinnen aus verschiedenen Bereichen, ist über die Jahre ein Bewusstseinswandel entstanden. Es war ein langer Weg, und er hat viel Ausdauer gebraucht. Doch heute sind Themen wie sexuelle Gewalt, Partnerschaftsgewalt und sexuelle Belästigung kein Tabu mehr. Sie sind besprechbar geworden.
Frauen* trauen sich, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Die MeToo-Bewegung hat dafür eine neue Tür geöffnet. Immer mehr junge Frauen* zeigen Übergriffe an, die Dunkelziffer bleibt dennoch hoch. Auch das Wissen über die Folgen von Gewalt hat sich weiterentwickelt. Wir wissen heute, wie stark Kinder und Jugendliche unter häuslicher Gewalt leiden, selbst wenn sie „nur” zusehen. Wir wissen, welche Spuren Traumatisierungen in der Psyche, in der Entwicklung und in der Gesundheit hinterlassen. Dieses Wissen ist inzwischen fester Bestandteil der Facharbeit.
Das zeigt sich auch in der Gesetzgebung. 1997 wurde Vergewaltigung in der Ehe strafbar. 2001 kam das Recht auf gewaltfreie Erziehung. 2002 folgte das Gewaltschutzgesetz mit dem klaren Grundsatz: Wer schlägt, muss gehen. 2005 wurde der Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung im Sozialgesetzbuch verankert. 2013 wurde weibliche Genitalverstümmelung unter Strafe gestellt. 2016 kam das reformierte Sexualstrafrecht mit dem Grundsatz „Nein heißt Nein”. Und 2017 hat Deutschland die Istanbul-Konvention ratifiziert – ein klares Bekenntnis, Gewalt gegen Frauen* und Kinder zu bekämpfen.
Trotzdem erleben viele Mädchen* und Frauen* auch heute noch Gewalt im Alltag. Gleichstellung ist für viele noch nicht Realität. Das zeigt sich bei der Berufswahl, bei Löhnen, bei Karrierechancen, bei der Verteilung von Sorgearbeit, in der Politik und in der Repräsentanz in Machtpositionen. Besonders betroffen sind Frauen*, die zusätzlich Diskriminierungen erleben – etwa durch Herkunft, Behinderung, soziale Lage oder sexuelle Identität.
Wir erleben gleichzeitig eine gefährliche Entwicklung. Rechte Bewegungen gewinnen an Einfluss, und mit ihnen werden alte Rollenbilder wieder lauter. Frauen* sollen wieder in enge, rückschrittliche Vorstellungen gedrängt werden. Antifeminismus, Frauen*hass und die Ablehnung von Vielfalt sind der gemeinsame Nenner dieser Strömungen. Dagegen stellen wir uns entschieden. Jeden Tag.
Die Themen, die Mädchen* und junge Frauen* heute beschäftigen, haben sich verändert. Social Media und künstliche Intelligenz spielen eine große Rolle. Die virtuelle Welt ist für viele ein Ort von Chancen, aber auch von Risiken. Digitale Gewalt, Mobbing, Grenzverletzungen – das alles gehört für viele Mädchen* zur Realität. Unsere Aufgabe ist es, ihnen zu zeigen, wie sie sich schützen und behaupten können. Wir unterstützen sie, wenn sie bereits Übergriffe erlebt haben, und helfen ihnen, ihre Grenzen wahrzunehmen und zu setzen.
Ein weiteres großes Thema ist die psychische Gesundheit. Seit der Corona-Pandemie sehen wir eine deutliche Zunahme an psychischen Belastungen und Erkrankungen. Mädchen* und junge Frauen* sind davon besonders betroffen. Gleichzeitig nehmen Suchtverhalten und Drogenkonsum zu. Mädchen* greifen heute früher und häufiger zu Alkohol, Cannabis und anderen Substanzen. Die Hemmschwelle ist niedrig, und viele suchen in Suchtmitteln einen Ausweg aus innerer Not.
IMMA arbeitet mit zwei zentralen Haltungen: Vielfalt und Parteilichkeit. Vielfalt bedeutet, dass wir Mädchen* und junge Frauen* nicht als eine homogene Gruppe sehen. Jede bringt ihre eigene Geschichte mit – ihre Herkunft, ihre Identität, ihre Erfahrungen. Manche erleben Diskriminierung, andere tragen schwere Belastungen. In unserer Arbeit ist es entscheidend, sensibel damit umzugehen, zuzuhören und die individuellen Lebensrealitäten zu verstehen.
Parteilichkeit heißt für uns, auf der Seite der Mädchen* zu stehen. Viele von ihnen erleben, dass ihnen weniger zugetraut wird, gleichzeitig aber viel abverlangt wird – Verantwortung im Haushalt, Betreuung von Geschwistern, der Druck, schön zu sein und Erwartungen zu erfüllen. Wir ermutigen sie, stärken sie und nehmen ernst, was sie brauchen und wollen. Wir begleiten sie auf Augenhöhe. Nur in Fällen, in denen Selbst- oder Fremdgefährdung besteht, müssen wir müssen wir zu ihrem Schutz situativ gegen ihren Willen entscheiden. Unser Ziel bleibt immer: Selbstermächtigung. Mädchen* sollen spüren, dass sie selbst wirksam handeln können. Dafür brauchen sie Schutzräume, Orte zum Ausprobieren, Orte zum Wachsen.
Was bewirkt unsere Arbeit konkret? Wir geben Mädchen* Stabilität, Sicherheit und Vertrauen. Sie finden bei uns Schutz und Verständnis. Sie lernen, ihre Stärken wiederzuerkennen, Hoffnung zu schöpfen und neue Perspektiven zu entwickeln. Wir helfen ihnen, Konflikte ohne Gewalt zu lösen, begleiten sie durch Gerichtsverfahren, unterstützen sie bei Ausbildung, Arbeit und Wohnungssuche. Wir zeigen ihnen, dass es viele Arten gibt, als Frau* zu leben – mit oder ohne Kinder, mit unterschiedlichen kulturellen Wurzeln, in hetero- oder homosexuellen Beziehungen.