In 40 Jahren hat Imma 3.720 Mädchen und Frauen stationär betreut, 13.620 ambulant beraten und mit über 36.000 Menschen in Schulungen und Veranstaltungen gearbeitet. Hanne Güntner, war eine Mitgründerin des Vereins IMMA e.V. und heute Aufsichtsratsvorsitzenden. Sie erinnert sich.
Was hat Sie damals motiviert, sich an der Gründung von IMMA e.V. zu beteiligen?
Hanne Güntner: Es gab verschiedene Gründe. Ein wichtiger Ausgangspunkt war meine Arbeit mit Mädchen* im Jugendzentrum, aus der auch meine Diplomarbeit „Mädchen und Wir” entstanden ist. Während meines Praktikums wurde mir klar, dass die Botschaften und Bedürfnisse der Mädchen* bei uns Fachkräften nicht angekommen sind.
Ein weiterer Auslöser war die Veröffentlichung des 6. Jugendberichts des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit im Jahr 1984. Der Bericht war lange zurückgehalten worden und zeigte deutlich, wie groß der Handlungsbedarf zur Verbesserung der Chancengleichheit von Mädchen* in der BRD war.
Auch die Zusammenarbeit mit engagierten Wissenschaftlerinnen wie Heide Funk und Anita Heiliger vom Deutschen Jugendinstitut sowie Frauen* aus den Kreisjugendringen wie Elisabeth Kretschmar-Marx, Doris Knoll, Heidi Kurzhals und Geli Geist hat mich und unsere Ideen geprägt. Nach einer Tagung mit dem Motto „Ein Mädchenhaus für München” habe ich 1985 gemeinsam mit diesen und anderen Frauen* wie Tina Kuhne und Roswita Reger den Verein IMMA gegründet, um die Finanzierung für die ersten Mädchentreffräume zu sichern.
Wie war die gesellschaftliche und politische Stimmung gegenüber Mädchen* und jungen Frauen*, die Schutz und Unterstützung brauchten?
Hanne Güntner: Damals wurde der Schutzbedarf von Mädchen* und jungen Frauen* kaum anerkannt. Die einzige Notaufnahmestelle war vergittert und verschlossen. Mädchen* wurden meist von der Polizei dorthin gebracht und anschließend an die Eltern zurückgegeben. Unser Grundgedanke der Freiwilligkeit, der eigenständigen Entscheidungen und des Vertrauens in die Aussagen der Mädchen* wurde infrage gestellt. Die Jugendhilfe sah Mädchen* vor allem durch eine moralische Brille. Wenn eine von daheim ausriss oder wechselnde Sexualpartner hatte, galt sie als Problemfall. Die eigentliche Not, zum Beispiel durch sexualisierte Gewalt in Familien, blieb unsichtbar. Gleichzeitig sorgten die zweite Frauenbewegung und der Jugendbericht für Bewegung. Die rot-grüne Stadtregierung in München zeigte sich offen für unsere Ansätze, aber die Verwaltung brauchte Zeit, um nachzuziehen.
Mit welchen Widerständen waren Sie konfrontiert?
Hanne Güntner: Im privaten Umfeld hatte ich keine Widerstände. Mein Partner und Freundinnen und Freunde standen hinter meinem Engagement. Politisch profitierten wir stark von der rot-grünen Stadtregierung. Institutionell gab es jedoch Gegenwind. Unser parteilicher Ansatz, Mädchen* konsequent zu unterstützen, stieß auf Skepsis. Schon bald gründeten sich Väter- und Täterorganisationen, die sich gegen unsere Arbeit stellten.
Was waren die größten Herausforderungen in der Anfangszeit?
Hanne Güntner: Die Finanzierung war unser größtes Problem. Mein erster Antrag an die Stadt für ein Mädchenhaus lag bei knapp einer Million D-Mark. Wir bekamen weniger als die Hälfte und haben damit die Zufluchtstelle gegründet. Uns war wichtig, eine Pauschalfinanzierung zu bekommen, damit wir Mädchen* ohne bürokratische Hürden aufnehmen konnten. Auch räumlich begannen wir sehr bescheiden. Der erste Mädchentreff „Mädchenpower” befand sich in einem alten Milchladen. Die ersten Schreibtische standen im Seminarraum von KOFRA und wurden abends abgeschlossen. Später haben wir marode Räume selbst renoviert, bevor wir nach zehn Jahren in die Jahnstraße umziehen konnten. Die Anerkennung kam schrittweise. Für manche Bereiche recht schnell, für andere erst nach Jahren. Projekte wie die „Sichere Wiesn für Mädchen* und Frauen*” waren mit langen politischen Auseinandersetzungen verbunden.
Wer hat Sie damals besonders unterstützt?
Hanne Güntner: Die rot-grüne Stadtregierung war ein wichtiger Partner. Engagierte Stadträtinnen wie Hanna Wolf und Ulrike Mascher von der SPD haben uns besonders unterstützt. Auch die neu gegründete Gleichstellungsstelle für Frauen mit Conny Lohmeier hat uns in der Anfangszeit sehr geholfen. Wissenschaftliche Begleitung kam unter anderem vom Deutschen Jugendinstitut mit Dr. Anita Heiliger und Dr. Heide Funk. Beide waren an der Gründung von IMMA beteiligt. Barbara Kavemann, Dr. Jörg Fegert und Ursula Enders haben zusätzlich viel dazu beigetragen, dass unsere Arbeit zum Thema innerfamiliäre sexualisierte Gewalt anerkannt wurde.
Mit welchen Angeboten ist IMMA gestartet?
Hanne Güntner: 1985 begann alles mit dem Mädchentreff. Gleichzeitig entwickelte meine Kollegin Tina Kuhne die Idee, Fachkräfte, Politik und Öffentlichkeit über wissenschaftliche Erkenntnisse und die Lebensrealität von Mädchen* zu informieren. Daraus entstand nach und nach die Kontakt- und Informationsstelle für Mädchen*arbeit KO&I. Im Dezember 1987 konnten wir die Räumlichkeiten für die Zufluchtstelle anmieten. Das war ein wichtiger Schritt.
Wie wurde das Angebot angenommen?
Hanne Güntner: Der Mädchentreff war von Anfang an gut besucht. Er war als selbstverwalteter Raum gedacht, begleitet von einer Ehrenamtlichen und einer stundenweisen Fachkraft. 1988 wurde dort ein bundesweites Mädchenmusikfestival organisiert. Auch die Zufluchtstelle war sehr schnell ausgelastet. Der Bedarf war groß, das Angebot gering.
Gibt es eine Geschichte aus dieser Zeit, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Hanne Güntner: Ich erinnere mich gut an den Umzug in die neuen Räume im Vorderhaus von KOFRA in der Baldestraße. Als eine Fabrik auf der anderen Isarseite geschlossen wurde, haben wir dort Büromöbel bekommen und die Schreibtische zu Fuß über die Brücke getragen. Einer dieser Tische, rot angemalt, stand jahrzehntelang in der KO&I. Diese Szene steht für den Start unserer Arbeit mit sehr einfachen Mitteln.
Hat sich Ihre ursprüngliche Vision erfüllt?
Hanne Güntner: Unsere Vision war ein Mädchenhaus mit Angeboten für alle Lebensbereiche: Zuflucht, Beratung, Freizeit und Bildung. Diese Idee wurde in angepasster Form weitgehend umgesetzt. Die Zufluchtstelle musste an einem anonymen Ort sein. In der Jahnstraße fanden viele Angebote Platz, später wurden einige ausgelagert. Das wichtigste Ziel war, die Belange von Mädchen* und jungen Frauen* in Fachwelt und Gesellschaft sichtbar zu machen. Das ist in München und durch IMMA gelungen. Wir können sehr stolz auf das Erreichte sein