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Vier Menschen, die einmal mitten in Sendling lebten


Von red
Erinnerungszeichen für Karl Simon in der Kraelerstraße 6. (Foto: job)
Erinnerungszeichen für Karl Simon in der Kraelerstraße 6. (Foto: job)
Erinnerungszeichen für Karl Simon in der Kraelerstraße 6. (Foto: job)
Erinnerungszeichen für Karl Simon in der Kraelerstraße 6. (Foto: job)
Erinnerungszeichen für Karl Simon in der Kraelerstraße 6. (Foto: job)

Elf Auszubildende der Münchner Wohnen haben unter fachlicher Anleitung bisher unbeleuchtete Lebenswege von Menschen erforscht, die in Wohnungen der GEWOFAG und GWG (heute Münchner Wohnen) in Sendling lebten. Darunter ist Karl Simon, der wegen Epilepsie im Alter von 16 Jahren Opfer der sogenannten NS-Euthanasie wurde. Betty Landauer, Lisette Lilie und Dr. Julian Marcuse wurden als Jüdinnen und Juden verfolgt und ermordet. Zu ihren Ehren fand nun eine Gedenkveranstaltung in der Kraelerstraße 16 statt. Danach wurden an den nahegelegenen früheren Wohnorten der Getöteten (Kraelerstraße 6 und 16, Maronstr. 5 und Pfeuferstraße 20) Erinnerungszeichen angebracht. Dort verlasen die Auszubildenden deren Biographien.

Dem Tod überlassen

Karl Simon wurde 1925 geboren und lebte mit seiner Familie in einer GEWOFAG-Siedlung in der Kraelerstraße 6. Er litt seit dem dritten Lebensjahr an epileptischen Anfällen. Im Mai 1942 wurde er in die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar eingewiesen. Am 8. August 1942 starb er dort im Alter von gerade einmal 16 Jahren. Angesichts des rapiden körperlichen Abbaus – er verlor in kurzer Zeit vier Kilogramm Gewicht – kann von gezielter Mangelverpflegung durch das Anstaltspersonal ausgegangen werden. Ob sein Tod gezielt mit Medikamenten herbeigeführt wurde, bleibt ungeklärt.

Von der SS erschossen

Betty Landauer, geboren 1889, lebte bei ihrer Schwester in der Maronstraße 5. Ab 1938 kündigte die GEWOFAG ihren jüdischen Mieterinnen und Mietern, Betty Landauer musste in ein jüdisches Altenheim umziehen. Am 20. November 1941 deportierte die Gestapo sie mit rund 1.000 weiteren Jüdinnen und Juden von München nach Kaunas in Litauen. Am 25. November 1941 wurde Betty Landauer von der SS erschossen. Ihren Besitz zog der deutsche Staat ein. Nach den Jahren der Verfolgung war ihr kaum etwas geblieben.

In Treblinka umgebracht

In der NS-Zeit musste Lisette Lilie mehrfach ihren Wohnort wechseln. Ab September 1939 wurde sie im Jüdischen Altenheim in der Mathildenstraße 8/9 einquartiert. Ihre letzte Unterkunft in München war ab April 1942 die „Judensiedlung Milbertshofen“, ein Barackenlager an der Knorrstraße 148. Am 2. Juli 1942 deportierte die Gestapo Lisette Lilie ins Ghetto Theresienstadt. Wenig später wurde sie in das Vernichtungslager Treblinka gebracht. Dort wurde sie unmittelbar nach der Ankunft – am 21. oder 22. September 1942 – mit 73 Jahren in einer Gaskammer ermordet. Lisette Lilies Tochter Rosa Sundheimer war bereits am 20. November 1941 gemeinsam mit ihrem Mann Siegfried nach Kaunas verschleppt und dort erschossen worden. Ihre Tochter Erna konnte 1940 nach New York entkommen.

Im Ghetto umgekommen

Dr. Julian Marcuse nahm 1918 in München an der Revolution teil und war zeitweise sogar als Minister in der Münchner Räterepublik im Gespräch. 1932 wohnte er in der Pfeuferstraße 20. Wegen seiner jüdischen Vorfahren galt Julian Marcuse in der NS-Zeit als Jude und wurde diskriminiert. Vielleicht aus diesem Grund zog er sich 1934 in den Landkreis Rosenheim zurück. Am 20. Juli 1942 wurde Julian Marcuse nach München verschleppt. Am 29. Juli 1942 folgte die Deportation ins Ghetto Theresienstadt. Dort starb Julian Marcuse am 2. Dezember 1942 mit 80 Jahren an den katastrophalen Lebensbedingungen.

Unbekannte Details ermittelt

Die Auszubildenden konnten bei ihrer Arbeit diese und viele weitere biographische Details ermitteln, auch zu dem gesellschaftlich engagierten Arzt Dr. Julian Marcuse (1862-1942) und der Angestellten Lisette Lilie (1868-1942). Zu Projektbeginn waren nur wenige Informationen wie die Namen, Geburts- und Sterbedaten oder der Beruf bekannt. Betreut von der Historikerin Dr. Christiane Fritsche erschlossen die Auszubildenden die vier Biographien anhand von Quellen aus verschiedenen Archiven.

Erinnern seit 2018

Erinnerungszeichen werden seit 2018 an Orten angebracht, an denen Menschen lebten, die von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden. Die Erinnerungszeichen bestehen aus gebürstetem Edelstahl und sind vergoldet. Es gibt sie als Wandtafeln an der Fassade und als Stelen auf öffentlichem Grund. Sie enthalten die wichtigsten Lebensdaten, Angaben zum Schicksal und – falls vorhanden – ein Bild.

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