Wenn Anton Wunderl unterwegs ist, dann ist sein Blick nach unten gerichtet, dahin, wo Steine die Grenze von Grundstücken markieren. Dort sieht er Dinge, die anderen übersehen: „Stufen im Gehsteig, Kerben in Steinen, ein Stein, der aus dem Waldboden ragt“, zählt er auf. Es sind Grenzsteine, kleine Markierungen, die festlegen, wem welches Stück Land gehört. „Das fällt mir sofort ins Auge“, sagt Wunderl.
Seit 40 Jahren ist der Weßlinger Landwirt Feldgeschworener. Zusammen mit Hermann Jäger aus Herrsching, der das Ehrenamt seit 25 Jahren ausübt, erhielt er im Landratsamt Starnberg eine Ehrenurkunde und die Silbermedaille des Landkreises. „Sie waren in all den Jahren als Feldgeschworene stets einsatzbereit, Ihr unerschöpfliches Wissen war für alle Beteiligten eine große Hilfe“, würdigte Landrat Stefan Frey die Verdienste.
Feldgeschworener ist ein Ehrenamt mit einer Tradition, die bis ins 12. Jahrhundert zurückreicht. Seit 2016 ist es sogar als Immaterielles Kulturerbe anerkannt. In der Praxis lautet die Aufgabe heute wie damals: Grenzsteine setzen, wiederherstellen oder nach Jahrzehnten finden, als „Zeuge” bei Vermessungsarbeiten dabei zu sein und wenn sich Nachbarn um einen Streifen Land streiten, sorgen sie für Klarheit. Rund 27.000 Ehrenamtliche sind heute im Freistaat aktiv, im Landkreis Starnberg etwa 40. „Sie sind auf Lebenszeit bestellt“, ergänzte Andreas Schäffler, Leiter des Amtes für Digitalisierung, Breitband und Vermessung Landsberg am Lech. „Wir sind die Schnittstelle zwischen Vermessungsamt und Bürger“, sagte Jäger. „Für uns ein wichtiger Partner“, so Schäffler, der den beiden zum Dank ein Buchpräsent überreichte.
Dass dieser Job Konflikte entschärfen kann, zeigt eine Szene aus Weßling: Zwei ältere Herren gerieten wegen eines Quadratmeters Grund derart aneinander, dass sie mit der Schaufel aufeinander losgingen, erzählt Wunderl. Nachdem er den Grenzstein entdeckte, konnte er den Frieden wiederherstellen. Heute helfen GPS-Geräte, oft sind die Markierungen aber so zugewachsen, dass sie erst freigeschnitten werden müssen. Manchmal sind Wunderl und Jäger fast täglich im Einsatz, dann ist wochenlang nichts los. „Beim Bau der Umgehungsstraße war ich ein Jahr lang draußen“, erinnert sich der Weßlinger. Für das Ehrenamt gibt es eine Aufwandsentschädigung, für Geld machen es weder Wunderl noch Jäger. „Es ist einfach eine hochinteressante Aufgabe“, erklärt der Herrschinger. Dabei ist die Arbeit körperlich fordernd. Grenzsteine wiegen bis zu 18 Kilo, müssen einen halben Meter tief eingegraben werden – oft mitten im Wald oder, wie Jäger erlebte, sogar im Ammersee. Es gibt heute übrigens längst auch weibliche Feldgeschworene. Zum Beispiel Brigitte Lenker aus Buchendorf, die erste Frau im Landkreis mit diesem Ehrenamt.