Hubert Schöffmann ist Mitglied der Hauptgeschäftsführung und Bereichsleiter Berufliche Bildung bei der IHK für München und Oberbayern sowie Bildungspolitischer Sprecher des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages e.V. Er weiß, was Unternehmen von Auzubildenden erwarten:
Die Qualität der Ausbildung ist bei uns sehr hoch. Schulen sind indes überfrachtet mit Aufgaben und überfordert von Problemen wie Lehrermangel, so dass Abschlussjahrgängen oft wichtige Fähigkeiten fehlen. Welche Lücken sehen Sie und wie können wir den gesamten Bildungsweg qualitativ auf einem hohen Niveau halten?
Hubert Schöffmann: Die Ausbildungsbetriebe kritisieren in der Tat immer häufiger die fehlende Ausbildungsreife vieler Jugendlicher. In einer IHK-Umfrage nannten das 86 Prozent der Betriebe als Problem. Neben Deutsch und Mathe sehen sie deutliche Defizite vor allem bei Soft Skills wie Belastbarkeit, Disziplin, Leistungsbereitschaft und Engagement. Einen überwiegend guten Eindruck machen die Bewerber hingegen mit ihren Englischkenntnissen, Teamfähigkeit sowie IT- und Medienkompetenz. Aus unserer Sicht ist es daher entscheidend, dass Lehrkräfte, Eltern und die Jugendlichen selbst die erforderlichen Basiskompetenzen der Arbeits- und Berufswelt stärker in den Blick nehmen und gezielt daran arbeiten.
Eine Berufswahl kann schlicht scheitern – was kann man machen, wenn man merkt, dass eine begonnene Ausbildung doch nicht passt?
Hubert Schöffmann: Es ist sehr wichtig und wertvoll, dass Jugendliche mögliche Probleme in der Ausbildung frühzeitig und offen ansprechen. Wenn sich dauerhaft der Eindruck verfestigt, dass der Beruf oder auch das Betriebsklima nicht passt, sollte der erste Weg zum Ausbilder im Unternehmen führen. Im Gespräch lässt sich klären, wo genau der Schuh drückt, ob es vielleicht Startschwierigkeiten bei der Umstellung auf die Arbeitswelt gibt und welche Abhilfe möglich ist. Auch die IHK-Bildungsberater können in so einer Situation helfen. Wichtig ist: Lösungsansätze müssen nicht zwangsläufig in einem Ausbildungs- oder Betriebswechsel münden, ein Abbruch sollte stets die letzte Option bleiben. Der Gesetzgeber räumt Auszubildenden zwar die Möglichkeit ein, das Ausbildungsverhältnis jederzeit auch nach der Probezeit mit einer Frist von vier Wochen zu kündigen – doch zuvor sollten alle Alternativen sorgfältig geprüft werden.
Welche Grundvoraussetzungen sollte ein junger Mensch mitbringen, wenn er seine Ausbildung beginnt?
Hubert Schöffmann: Die Betriebe wünschen sich Interesse und auch eine gewisse Leidenschaft für den gewählten Beruf, Lern- und Leistungsbereitschaft, Aufgeschlossenheit und ein gutes Verhalten, darunter auch Pünktlichkeit, Respekt gegenüber anderen und Verbindlichkeit. Gute Schulnoten in Deutsch und Mathe, sowie Praktika sind immer gern gesehen. Zunehmend wichtiger ist jedoch das Gesamtpaket: Welche Soft Skills bringt ein Bewerber mit? Zeigt er Motivation und Interesse? Wer hier überzeugt, kann damit auch die eine oder andere schwächere Note im Zeugnis ausgleichen.
Viele junge Leute (und deren Eltern) streben den höchstmöglichen Schulabschluss an. Ist das in Ihren Augen eine sinnvolle Ausrichtung?
Hubert Schöffmann: Das ist eine sehr individuelle Frage – weder Abitur noch Doktortitel sind grundsätzlich für jeden der richtige Weg. Die Entscheidung für oder gegen einen Schulabschluss sollte aus unserer Sicht unbedingt die persönlichen Voraussetzungen, Talente und Interessen der Jugendlichen in punkto Berufswahl berücksichtigen. Ein Studium ist keineswegs eine Garantie für Glück, Erfolg und Erfüllung auf dem Bildungsweg und im Berufsleben. Die berufliche Bildung wird oft unterschätzt, bietet jedoch attraktive Alternativen mit vielen Vorteilen: Jugendliche verdienen von Beginn an eigenes Geld, werden praxisnah am Bedarf des Arbeitsmarktes ausgebildet und übernehmen meist deutlich früher Verantwortung sowie eine aktive Rolle im Berufsleben als viele Akademiker.
Wünschen Sie sich von den Schulen mehr „praktische” Unterstützung, um junge Leute an die Ausbildung heranzuführen?
Hubert Schöffmann: Ein Fach „Berufsorientierung” an den Schulen, in dem gleichberechtigt und neutral auf die ganze Bandbreite der Berufe und Bildungswege in Deutschland eingegangen wird, wäre eine hervorragende Sache. Viele Schulen machen bereits engagiert bei IHK-Projekten wie der Praktikumswoche, bei den Bildungspartnerschaften zwischen Schulen und Ausbildungsbetrieben oder den beliebten IHK-Ausbildungsscouts mit – es könnten aber noch deutlich mehr sein. Besonders die Ausbildungsscouts stoßen auf großes Interesse: Hier berichten Auszubildende direkt im Klassenzimmer und auf Augenhöhe von ihren Erfahrungen und geben authentische Einblicke in verschiedene Berufe.
Eine Berufswahl sollte ein gutes Fundament für einen Jahrzehnte währenden Weg sein. Wie kann man sich als junger Mensch ohne viel Lebenserfahrung sicher sein, den „richtigen” Beruf gefunden zu haben?
Hubert Schöffmann: Absolute Sicherheit kann es trotz umfassender Beratung und Informationen nicht geben, denn niemand kann die Zukunft voraussehen. Auch im Berufsleben gilt der Spruch, dass viele Wege zum Ziel führen, wichtig ist, überhaupt loszugehen. Jede Ausbildung ist dafür ein solider Start und aus unserer Sicht ein tragfähiges und verlässliches Fundament. Passende Fort- und Weiterbildungen lassen sich anschließen, bis hin zum Studium. So eröffnen sich auch nach dem Ausbildungsabschluss zahlreiche Möglichkeiten, flexibel auf Veränderungen am Arbeitsmarkt oder neue persönliche Erkenntnisse zu reagieren.
In welchen Bereichen und Branchen sehen Sie die besten Zukunftsperspektiven? Von welchen raten Sie eher ab?
Hubert Schöffmann: Eine Kristallkugel haben wir nicht – fest steht jedoch, dass sich die Anforderungen am Arbeitsmarkt ständig wandeln. Gleichzeitig werden auch die Berufe und ihre Ausbildungsinhalte fortlaufend modernisiert und angepasst. Außerdem ist vieles von dem, was in der Ausbildung vermittelt wird, auf neue Gegebenheiten und andere Tätigkeitsbereiche übertragbar. Die besten Zukunftsaussichten hat, wer nicht nur während der Ausbildung, sondern auch danach, Lernbereitschaft und Flexibilität an den Tag legt.
München ist eine sehr teuere Stadt. Auszubildende sind mit ihrem Gehalt schnell an der Grenze ihrer Möglichkeiten. Wie können Betriebe und Politik für Unterstützung sorgen?
Hubert Schöffmann: Die erste Berufsausbildung zählt rechtlich noch zur Ausbildung, daher sind die Eltern grundsätzlich unterhaltspflichtig. Streng genommen erhalten Auszubildende auch kein Gehalt, sondern eine Ausbildungsvergütung. Viele Betriebe bemühen sich dennoch, ihre Azubis durch Wohnraumangebote zu unterstützen – besonders dann, wenn diese aus anderen Regionen Deutschlands oder sogar aus dem Ausland angeworben wurden. Auch die Politik hat das Thema erkannt und fördert beispielsweise in München den Bau von Azubiwohnheimen.
In den letzten Jahren hat das Bewusstsein für Nachhaltigkeit deutlich zugenommen; dann hat Künstliche Intelligenz begonnen, auch unsere Arbeitswelt massiv zu verändern. Mit welchen Veränderungen werden wir in nächster Zukunft zurechtkommen müssen? Sind wir dafür gut gerüstet?
Hubert Schöffmann: Die einzige Konstante ist, dass wir uns in der Arbeitswelt immer auf Veränderungen einstellen müssen - und die Chance, diese aktiv mitzugestalten. Bildung und der Aufbau von Kompetenzen sind dafür einer der wichtigsten Schlüssel, sowohl am Anfang der beruflichen Karriere wie auch im weiteren Berufsleben. Die IHK spielt dabei mit ihren Aus- und Weiterbildungsangeboten eine zentrale Rolle. Neue Anforderungen der Wirtschaft setzt die Kammer als Organisation ihrer Mitgliedsunternehmen fortlaufend um und sorgt so für moderne, praxisnahe Bildungswege mit sehr guten Arbeitsmarktchancen. Insofern brauchen wir uns da auch im internationalen Vergleich nicht zu verstecken. Im Gegenteil sind viele Länder beeindruckt, wie gut und erfolgreich die berufliche Bildung in Deutschland organisiert ist.