„Eines der außergewöhnlichsten Bücher dieses Jahrhunderts” und „weit mehr als eine Sensation” verspricht der Klappentext über Swetlana Allilujewas „20 Briefe an einen Freund”. Allilujewa ist Stalins Tochter; 1967 gelang ihr die Ausreise aus der Sowjetunion und noch im selben Jahr erschien ihr autobiographisches Buch, in dem sie Einblicke in ihr abgeschottetes Leben gibt.
Allilujewa kennt „die ganze Unerbittlichkeit, Härte und Grausamkeit“ ihres Vaters. Mit dem Satz „Krieg ist Krieg“ lässt der ihren geliebten Bruder Jascha in deutscher Kriegsgefangenschaft umkommen; er schickt den Mann, den sie mit 16 küsst, für zehn Jahre in Verbannung und Gulag; er lässt ihren Onkel – einen seiner engsten Freunde - verhaften und mit Frau und Schwester erschießen. „Wie konnte Vater das tun?“, fragt sie sich kurz und erteilt ihm umgehend die Absolution: „Ich weiß nur das eine: ihm selbst, ihm allein wäre derlei nie eingefallen.“ Der Vater ist der Mann, „den ich liebte und fürchtete“ und in diesem Widerspruch wird sie zeitlebens gefangen sein.
Wie tickt ein Monster? Was will ein Mensch, auf dessen Konto der Tod von zwanzig Millionen anderer Menschen geht? Sie wird keine Antworten finden.
Als Stalin stirbt, fühlt sie sich schuldig, „dass ich nie eine gute Tochter gewesen war und dieser einsamen, von allen abgelehnten Seele nie die geringste Hilfe geschenkt habe.“ Und zugleich erkennt sie, dass des Vaters Tod „für alle und auch für mich die Befreiung von einem Druck bedeutete, der mit dem Gewicht eines einzigen riesigen Klumpens auf allen Seelen gelastet hatte.“
Anders als Himmlers „Püppi” schließt sie ihre Augen nicht vor dem Unübersehbaren: Kommende Generationen „werden unsere Zeit wohl kaum eine fortschrittliche nennen und auch kaum sagen, dass sie dem großen Russland zum Heile gewesen sei“, ist ihr klar. Sie selbst bleibt zurück zwischen Illusion und Resignation: „Das Gute wird siegen, obwohl es so oft zu spät kommt und obwohl so viele gute Menschen, die berufen sind, die Erde zu verschönern, sinnlos zugrunde gehen und niemand weiß, warum.“
Vielleicht wird es eines Tages ähnliche Bücher von Kim Ju-ae und Maria Woronzowa geben.
Bücher lassen Einblicke in lange geheim Gehaltenes zu.
Wir stellen vier Bücher vor, die wir im Bücherschrank am Heidemarkt gefunden haben. Das sind die anderen drei aus unserem Quartett:
Der Bücherschrank am Heidemarkt steht am Ladenzentrum in der Karl-Köglsperger-Straße 13. Wenn man vom Parkplatz vor den Geschäften zu der kleinen angrenzenden Grünanlage geht, kann man ihn eigentlich nicht verfehlen.