Gut 7.000 Sprachen werden derzeit von Menschen auf diesem Planeten gesprochen (etwa die Hälfte davon dürfte in den nächsten 100 Jahren aussterben, 150 davon sind europäische Sprachen). „Jede Sprache ist eine Art, die Welt zu verstehen und zu interpretieren”, meint der US-amerikanische Sprachwissenschaftler Noam Chomsky. Das stimmt: Wer Dinge bezeichnen kann, findet sich in seiner Welt zurecht, kann sie (und seinen Platz in ihr) begreifen und gestalten. Wer sogar Gefühle und Befindlichkeiten benennen kann, kommt in die Lage, sie anderen mitzuteilen - und sie bei anderen wahrzunehmen. Erst dann ist an ein Miteinander zu denken, erst dann öffnen sich Wege, auch Konflikte zu lösen.
Daher sind die vielen „Mein erstes ...”-Bücher womöglich die am sträflichsten unterschätzten Kulturgüter - und echte Weltliteratur. Denn sie tun genau das, was Werke wie Cervantes Don Quijote, Kafkas Verwandlung, Goethes Faust und Homers Odyssee tun wollen: menschliche Erfahrungen über Kulturen hinweg widerspiegeln, Verständnis und Empathie fördern, den Horizont erweitern.
Dazu braucht „Mein erstes Fühl-Guckloch-Buch” lediglich bunte Illustrationen und Hauptwörter (mit Artikel). Es begleitet Kleinkinder beim Sprechenlernen, indem es Dinge aus deren Alltag abbildet: die Erdbeere, der Hase, die Blume, die Zahnbürste, der Schlafanzug. Über manche Bilder kann man drüberstreicheln und begreift so nicht nur, dass ein Hase ein Hase ist, sondern bekommt auch einen Eindruck davon, wie er ist und wie kuschelig sich sein Fell anfühlt.
Das sind erste Schritte in eine Welt, in der man auch lernen wird, was Angst und Liebe, Trauer und Freude, Einsamkeit und Begeisterung sind - und wie sie sich anfühlen. Nicht über alles werden die später Großen sprechen wollen („Was in des Busens stillem Reich geschehn, Und Gott nicht straft, das braucht kein Mensch zu wissen”, findet das Käthchen von Heilbronn); wenn sie es jedoch tun, wird sich manches für sie leichter anfühlen. Das wusste (eben Weltliteratur!) auch Shakespeare, der den Königssohn Malcolm in „Macbeth” raten lässt: „Gib dem Kummer Worte; der Kummer, der nicht spricht, lässt (das gequälte Herz) brechen.” Oder wie Simon & Garfunkel in „The Sound of Silence” warnen: „Silence like a cancer grows.” Wer indes negative Gefühle in Worte fassen kann, beruhigt sich schneller. Das weiß die Wissenschaft. Und wer Freude (mit)teilen kann, verdoppelt sie. Das wissen alle.
Bücher helfen, Dinge anzusprechen.
Wir stellen vier Bücher vor, die wir im Bücherschrank in der Isarvorstadt gefunden haben. Das sind die anderen drei aus unserem Quartett:
Der Bücherschrank Isarvorstadt steht an der Kreuzung von Dreimühlen- und Ehrengutstraße.